Haarscharf!

Wieder einmal werde ich von dem Klopfen des Nachtpflegers wach und höre nur etwas von "Maternité", schlüpfe in meine Scrubs und finde mich zusammen mit Rollin im "Kreissaal" wieder.
Eine arabische Familie, d.h. eine Schwangere, zwei weitere Frauen und der Ehemann schauen uns mit großen Augen erwartungsvoll an. Die Augen der Patientin sind aber noch größer! Sie ist schweißgebadet, hat einen rasenden Puls und einen fast nicht mehr messbaren Blutdruck! Der Bauch ist irgendwie komisch und es finden sich keine Wehen...das haben wir in den letzten zwei Wochen schon drei mal gesehen - Uterusruptur, wobei keine der bisherigen Patientinnen so instabil war, wie diese. Kaum im OP, bekommt Simeon die Spinale im dritten Anlauf rein (normalerweise immer im ersten!) während zwei von uns die kollabierte Patientin stützen. Während Rolin das Sieb aufmacht wasche ich den Bauch ab, wir schlüpfen ohne Händewaschen in OP-Kittel und Handschuhe. Nach einem kurzen Gebet sind wir mit ein paar hastigen Schnitten im Bauch. Die klinische Diagnose bestätigt sich: Der Uterus ist bis runter in die Zervix der Länge nach aufgerissen und es blutet so verrückt aus der Tiefe, dass der Sauger fast nicht hinterher kommt! Wir beschließen, eine Entfernung des Uterus, reißen das Hysterektomiesieb auf und als die großen Klemmen seitlich des Uterus sitzen lässt die Blutung etwas nach. Eine vernünftige Anatomie ist aber immer noch nicht wirklich zu sehen. Wortlos arbeiten wir, als würden wir uns schon Jahre kennen zusammen: Klemme - Schere - Ligatur - Klemme ab - zweiter Knoten -
Klemme - Schere - Ligatur - Klemme ab - zweiter Knoten...bis das große blutende Biest draußen ist. Wir verschließen das, was wir glauben als den Rest der Zervix identifizieren zu können und setzen noch ein paar Umstechungen, bis keine größeren Blutungen mehr sichtbar sind und versuchen, das mittlerweile koagulierte Blut aus dem Retroperitoneum abzusaugen. Wir tasten den Harnleiter über den Iliacalgefäßen und hoffen, dass er auch in seinem weiteren Verlauf in die Blase nicht gelitten hat. Die Patientin hat sich mittlerweile, nach 2 Blutkonserven und viel Arbeit durch Simeon (der nicht einmal die formelle Ausbildung zum Anästhesiepfleger hat, aber so manchen examinierten in den Schatten stellt...), auf niedrigem Niveau stabilisiert. Wir machen den Bauch zu und haben das erste Mal die leise Hoffnung, dass die Patientin vielleicht sogar überlebt! Das Baby war natürlich nicht mehr zu retten...
Mit einem systolischen Druck von 85mmHg wird sie auf die chirurgische Station gebracht, da die Maternité rappeldicke voll ist. Wir gehen erschöpft zurück ins Bett und ich beschließe: Neurochirurgie ist vieeeel einfacher!

Nachtrag: Die Patientin hat tatsächlich überlebt! Als ich nach Hause fuhr, war sie aber noch immer sehr schwach...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen