Was ich gelernt habe...

Ihr erinnert euch vielleicht, dass ich am Anfang so meine Zweifel hatte, ob ich denn mit meiner Fachrichtung überhaupt von Nutzen sein kann - mitten im Busch ohne Röntgen, geschweige denn CT oder MRT (die Röhren, mit denen wir hier in den Kopf reingucken...)
Nun ja, eins habe ich gelernt: Beklage dich nicht über das, was was du *nicht* hast oder nicht kannst, sondern stelle dich zur Verfügung mit dem was du kannst und hast - es ist mit Sicherheit mehr, als du glaubst!

Da fällt mir eine alte, aber offenbar immer noch aktuelle Geschichte ein:
Ein reicher Mann wollte ins Ausland reisen. Er rief alle seine Verwalter zusammen und beauftragte sie, während seiner Abwesenheit mit seinem Vermögen zu arbeiten. Dem einen gab er fünf Zentner Silberstücke, einem anderen zwei und dem dritten einen Zentner, jedem nach seinen Fähigkeiten. Danach reiste er ab.
Der Mann mit den fünf Zentnern Silberstücke war so erfolgreich bei seinen Geschäften, dass er die Summe verdoppeln konnte. Auch der die zwei Zentner bekommen hatte, verdiente zwei hinzu. Der dritte aber vergrub sein Geld an einem sicheren Ort.
Nach langer Zeit kehrte der Herr von seiner Reise zurück und forderte seine Verwalter auf, mit ihm abzurechnen.
Der Mann, der fünf Zentner Silbergeld erhalten hatte, brachte zehn Zentner. Er sagte:›Herr, fünf Zentner hast du mir gegeben. Hier, ich habe fünf dazuverdient. ‹ Da lobte ihn sein Herr:›Du warst tüchtig und zuverlässig. In kleinen Dingen bist du treu gewesen, darum werde ich dir größere Aufgaben anvertrauen. Ich lade dich zu meinem Fest ein! ‹
Danach kam der Mann mit den zwei Zentnern. Er berichtete:›Herr, auch ich habe den Betrag verdoppeln können. ‹ Da lobte ihn der Herr:›Du warst tüchtig und zuverlässig. In kleinen Dingen bist du treu gewesen, darum werde ich dir größere Aufgaben anvertrauen. Ich lade dich zu meinem Fest ein! ‹
Schließlich kam der mit dem einen Zentner Silberstücke und erklärte:›Ich kenne dich als strengen Herrn und dachte:Du erntest, was andere gesät haben; du nimmst dir, was ich verdient habe. Aus Angst habe ich das Geld sicher aufbewahrt. Hier hast du es wieder zurück! ‹ Zornig antwortete ihm darauf sein Herr:›Auf dich ist kein Verlass, und faul bist du auch noch! Wenn du schon der Meinung bist, dass ich ernte, was andere gesät haben, und mir nehme, was du verdient hast, hättest du zumindest mein Vermögen bei einer Bank anlegen können! Dort hätte es wenigstens Zinsen gebracht! Nehmt ihm das Geld weg, und gebt es dem, der die fünf Zentner hatte!
Denn wer viel hat, der bekommt noch mehr dazu, ja, er wird mehr als genug haben! Wer aber nichts hat, dem wird selbst noch das Wenige, das er hat, genommen. ‹«
(Aus Matthäus 25:14-29)

Für mich heißt das, dass wenn ich das wenige einsetze, was ich habe, dann macht Gott soviel mehr daraus als ich jemals alleine erreichen könnte.
Lebe ich aber auf der anderen Seite nur für mich selber, dann werde ich hinter den Möglichkeiten die ich bekommen habe weit zurück bleiben...!

Mein Vorsatz nicht nur für das Neue Jahr ist: meinen vorhandenen Möglichkeiten gerecht zu werden und nach weiteren Gelegenheiten zu streben...

Auf dem Bild seht ihr, wie uns ein Klempner die Bedienungsanleitung für einen Knochennagel hochhält...
Jamie (der Klempner) ist mittlerweile auf Grund seiner vielfältigen Fähigkeiten und seiner Dienstbereitschaft in dem Krankenhaus unersetzlich geworden!
Er baut nicht nur die Latrinen, sonder hält den gesamten Betrieb am laufen, fungiert als Medizintechniker, Architekt, Bauleiter, Assistent bei Operationen - nichts, was er nicht macht...
Und seine Frau Tammy steht ihm da nicht nach: sie hat wohl mal eine Krankenschwesterausbildung angefangen, aber wegen der Kinder wohl nicht beendet, und bezeichnete sich selbst als Afrika untaugliche Diva bevor sie nach Bere kamen. Und jetzt, drei Jahre später, ist sie die gute Seele des Krankenhauses, der Schule und der Umgebung! Durch ihre Mithilfe werden die Kinder in der Schule nun nicht mehr geschlagen und misshandelt...
Obwohl diese Familie kein eigenes Einkommen hat (sie werden weder vom Krankenhaus noch sonst irgendwem bezahlt) und auch keine Ersparnisse ihr eigen nennen, so sind sie diejenigen, die einen Großteil der Schule bezahlen und unzählige Krankenhausrechnungen begleichen!
Wie machen die das...? Simple Antwort: Gottvertrauen - das Gleichnis ist wahr, auch im wirklichen Leben!
Ich lerne daraus: Wer sich dem Schöpfer des Universums zur Verfügung stellt und sich auf IHN verlässt ist nie verlassen!





Rückreise

Nun sitze ich endlich in der Maschine nach Hamburg und bin sehr dankbar, dass alles so gut geklappt hat - teilweise sogar besser, als erwartet! Ursprünglich hätte ich wieder den Bus morgens um 7:00 Uhr nehmen sollen, wäre dann so gegen 17:00 Uhr in N'Djamena angekommen und hätte mir lockere 6 Stunden auf dem Flughafen die Zeit vertreiben müssen...kein wirklich bestechender Gedanke!
Glücklicherweise musste Jamie jedoch nach N'Djamena, um Tammy, seine Frau abzuholen. Die war nämlich aus wichtigem Anlass kurzfristig nach Hause (USA) geflogen und nun mit etwa 30.000$ in Bar in der Tasche auf dem Rückweg.
So konnte ich also mit ihm mitfahren. Da Tammy aber gegen 12 Uhr landen sollte, sind wir schon um 4:00 Uhr morgens los. Ich genieße den Sonnenaufgang und versuche nicht auf das Geschaukel durch die Schlaglöcher zu achten.
In Anbetracht der desolaten Straßenverhältnisse kommen wir ins philosophieren über Lufttransport. Es gibt zwar ein Flugzeug in Bere, dessen Pilot gerade auf Heimaturlaub ist, aber die Unterhaltskosten sind so hoch, dass es offenbar noch nicht so intensiv eingesetzt wird... Ultraleichtflugzeuge hingegen sind nicht nur wesentlich preiswerter in der Anschaffung, sondern besonders einfach zu warten und somit erheblich günstiger im Unterhalt. Wir diskutieren über verschiedene Designs und kommen zu dem Schluss, das diese neuartigen Gyrokopter für unsere Zwecke am idealsten sind. Sie haben eine extrem kurze Start- und Landstrecke von etwa 10 bis 50 Metern und sind wesentlich einfacher und sicherer zu fliegen, weil sie wohl nicht so anfällig für Turbulenzen sind... Zwei Sitze und eine Zuladung von bis zu 300kg sollten für die meisten Abwendungen ausreichen!
Kaum sind wir in der TEAM-Mission loggen wir uns ins Internet und belesen uns. Die ganz kleinen gibt es als Bausatz schon für 14.000 €, die etwas größeren Zweisitzer gehen gebraucht schon bei etwa 30.000 € los... Mich hat schon wieder das Ultraleichtflugfieber gepackt...

Wir unterhalten uns aber auch über seine Geschichte, wie er dazu kam, Missionar ohne monatlichen Gehaltsscheck im Tschad zu werden. Ich äußere meine Bedenken eine ganze Familie, d.h. eine Frau, die sich selbst als "Diva" bezeichnet, und zwei Kindern in ein Land zu entführen, dessen Sprache man nicht spricht und wo alle möglichen todbringenden Krankheiten nur darauf warten die Menschheit, insbesondere die weiße, auszurotten...
Er lächelt nur und sagt, dass sich mit der Zeit und Erfahrung die Perspektiven ändern...die Malaria ist eben hier so, wie zu Hause die Grippe...man gewöhnt sich an manches.
Wie es ihm denn mit dem Gedanken an den nicht vorhandenen Gehaltsscheck ergangen sei, will ich wissen. "Oh," sagt er, "es war sehr befreiend! Ich weiß jetzt noch viel besser, das nichts, was ich meine, zu besitzen wirklich mir gehört, sondern eigentlich nur der Verwalter bin. Seither lebe ich wesentlich entspannter und glücklicher!"
Meine Gedanken schweifen zurück zur eigentlichen Motivation für Mission. Anfangs war sicher etwas Abenteuerlust dabei aber nun, nach den drei Wochen ist es wesentlich mehr! Tschad ist nicht mehr nur ein weißer Fleck auf der Landkarte, es hat ein Gesicht, viele Gesichter bekommen! Lachende Gesichter und weinende Gesichter, mit angsterfüllten und hoffenden Augen. Ich durfte Menschen kennen lernen, die, genau wie wir, im Wechselspiel von Fröhlichkeit und Traurigkeit, von hoffen und sorgen ihren täglichen Alltag bestreiten und sich besonders in den Zeiten der Trauer nach einer besseren Welt sehnen. Einer Welt, die nicht von Ungerechtigkeit, Tränen, stillem Leid, Krankheit und Tod gezeichnet ist, sondern von einer allumfassenden Liebe getragen ist, die menschliches Verstehen weit übersteigt. Wie arm der Mensch, der in dieser Welt nicht einmal diese Hoffnung hat!
Es ist wohl dieser starke Ruf, den Menschen nicht nur diese frohe Botschaft von Weihnachten, der Geburt dieses Retters, zu überbringen, sondern schon im Hier und Jetzt diese allumfassende Liebe hautnah zu zeigen!
Ich jedenfalls für meinen Teil möchte kein Leben in der Einöde des Egoismus mehr führen!



Auf und zu...

Gestern, an meinem letzten Tag stand noch ein kleines, etwa 2 jähriges Kind mit einem harten Etwas in Höhe der Blase auf dem Programm. Wir öffnen etwas weiter, als normalerweise zur Prostata und merken schnell: das ist kein Blasenstein wie erhofft, das ist Tumor. Nachdem wir den Schnitt noch etwas erweitert haben stellt sich fast der gesamte Darm tumorös
verändert dar! Das gesamte Meso und auch die parietale Beckenwand sind eine harte, unterschiedliche Masse!!! Schweigend machen wir wieder zu...



Gute OP...aber

Wir sind fertig mit dem Programm und wollen gerade den OP abschließen, da fährt ein zerbeulter Pickup mit einer Horde Arabern vor. Als sich das Menschenkneul auflöst, liegt da ein etwa Mittsechziger (hier sehen die alle älter aus, so dass ich meinen ersten Eindruck deutlich nach unten korrigiere) offensichtlich verwirrt mit einer offenen Unterschenkelfraktur. Wir schließen den OP wieder auf und legen ihn gleich auf die Trage. Es kostet einiges Palaver um herauszufinden, dass er offenbar schon am 10.12., also am Tag zuvor, beim Fahren etwas ungeschickt vom Motorrad abgestiegen war.
Dabei ist ihm wohl nicht nur der Unterschenkel in mehrere Stücke zerbröselt (der Fuß schlabbert ziemlich locker herum...) sondern hat sich auch den rechten Unterarm gebrochen und seine Rübe als Stoßdämpfer missbraucht, was dieser, den Schwellungen im Gesicht nach, nicht ganz so gut bekommen ist, wie er das vielleicht ursprünglich geplant hat. Jedenfalls ist er so neben der Spur, dass wir zunächst die offene Fraktur am Unterschenkel nach ausführlichem Auswaschen der Wunde in eine geschlossene verwandeln und ihn zunächst auf die imaginäre Intensivstation verlegen, bis sich die Weichteile des Unterschenkels etwas erholt haben.
Und in der Tat, einige Tage später sieht nicht nur der Unterschenkel etwas besser aus, auch die neurologische Situation scheint sich gebessert zu haben, jedenfalls guckt er schon wieder recht klar aus den Augen. Aus dem Gefasel schließe ich, dass er entweder noch mächtig verwirrt ist oder einfach kein Englisch, bzw. Deutsch versteht... Wir beschließen, letzteres anzunehmen und setzen ihn auf den OP-Plan für den nächsten Tag, nachdem wir die Funktionstüchtigkeit der pneumatischen Bohrmaschinen überprüft haben.
Am Nächsten Morgen klappt alles wie am Schnürchen: Lagerung=Top, abwaschen=Top, darstellen der Frakturstückchen=Top. Und obwohl der Unterschenkel zwei mal gebrochen ist, und sich somit das auffädeln des Nagels etwas schwieriger gestaltet, geht es doch besser, als erwartet. Selbst die Verriegelungsschrauben gehen gut rein und haben alle einen guten und festen Sitz im Knochen, selbst distal, wo wir mehr Gebrösel erwartet hatten...(falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte: wir haben hier KEIN Röntgen und stützen uns deshalb auf unser imaginäres CT, bestehend aus jeweils zwei Händen und zehn Fingern...)
Jedenfalls sitzt der Nagel am Ende bombenfest und die Frakturspalten liegen sehr schön aneinander. Wunden noch schnell schnuckelig verschlossen und raus in den Aufwachraum. Zufrieden und ein bisschen stolz auf unsere Arbeit widmen wir uns den nächsten Operationen. Am späten Nachmittag werden wir von dem Pfleger informiert, dass der Patient gerade verstoben sei...uns allen geht es durch den Kopf, aber einer der SMs spricht es aus: "so we get the nail back...?!?" Schon irgendwie makaber...
Lerne: das Risiko der Lungenembolie ist nicht geringer, nur weil außer ASS keine Blutverdünner oder sonstige Thromboseprophylaxe zur Verfügung stehen!









Markt...

Heute ist wöchentlicher Markttag und ich stürze mich zusammen mit Christin und Jordan, zwei der drei SMs in das Getümmel. Wir schlendern durch die engen, überfüllten Gassen und lassen die olfaktorischen, visuellen und auditorischen Eindrücke auf uns wirken. Von abgehackten Schafsköpfen über Kettchen, Batterien zu allerlei vermutlich essbarem, vorbei an den Stoffhändlern und Schneidern zu dem kleinen Kramladen, wo die SMs ihre Vorräte auffrischen. Auf dem Rückweg schäkern wir mit ein paar Kindern und ich mache Ei paar Fotos mit dem iPhone, die ich den Kindern zeige. Es ist toll in die zunächst großen und ungläubigen Augen zu blicken und nachher mit ihnen herzhaft zu lachen. Mit wie wenig man doch Kinder begeistern kann!!!







Querlage

Die nächsten Tage gleichen sich. Wir operieren viel urologischen und gynäkologischen Kram. Allein drei Harnblasenkarzinome in dieser Woche. Vermutlich sind die hier wegen der Schistosomiasis so häufig. Schistosomen sind kleine fiese Würmer, die sich beim Baden durch die Haut bohren und dann nach einer abgefahrenen Wanderung durch den Körper in der Blase einnisten. Die chronische Entzündung verursacht immer wieder Harnblasensteine, selbst schon bei Säuglingen und im weiteren Verlauf Krebs...
Ich bin mittlerweile "Experte" für Hydro und große Pyozelen (=Wasser- oder Eiteransammlungen im Hoden - gewissermaßen das "Dicke Eier"-Syndrom).
Wir hatten eine Querlage mit heraushängendem Arm und (mal wieder) Uterusruptur. Trotz Sectio war das Kind natürlich tot...
Wir sahen noch einen 6 Monate alten Säugling mit einem harten Riesentumor im Bauch - inoperabel...
Eine kleine Analmißbildung konnten wir in lokaler dilatieren.













Der snus

Heute ist es nun endlich soweit, der junge Mann mit dem Ulnarisrinnensyndrom nach Ellenbogenfrakrtur steht zur OP an. Gestern Abend hat Jamie die bipolaren Pinzetten gefunden, dummerweise aber kein passendes Kabel und es sieht so aus, als hätte auch das Gerät sein Verfallsdatum lange überschritten, denn da wo die bipolare Buchse sein sollte ist ein leeres Loch... Das wird interessant, operieren am Nerven ohne vernünftige Blutstillung.
Abwaschen und Hautschnitt wie üblich, aber die Anatomie am Ellenbogen ist durch die alte Fraktur etwas unübersichtlich - der Nerv ist geradezu von Kallusgewebe umschlossen. Mühsam gelingt es aber den Nerv Schritt für Schritt freizulegen und ich bin am Ende echt zufrieden mit dem Ergebnis. Jetzt muss sich der Patient "nur" noch erholen...
Anschließend machen wir Visite, und als wir an dem Entbindungsraum vorbeikommen machen wir noch schnell quasi im Vorbeigehen eine Vakuumextraktion: Kind lebt, ein Mädchen. Die begleitende Hebamme muss der Mutter wohl sehr nahe stehen, denn sie fällt mir vor Freude weinend um den Hals...und auch ich habe aus unerfindlichem Grund wässrige Augen. Ich schätze, der Kontrast eines freudigen Ereignisses zu dem Leid um mich herum zollt seinen Tribut.

Haarscharf!

Wieder einmal werde ich von dem Klopfen des Nachtpflegers wach und höre nur etwas von "Maternité", schlüpfe in meine Scrubs und finde mich zusammen mit Rollin im "Kreissaal" wieder.
Eine arabische Familie, d.h. eine Schwangere, zwei weitere Frauen und der Ehemann schauen uns mit großen Augen erwartungsvoll an. Die Augen der Patientin sind aber noch größer! Sie ist schweißgebadet, hat einen rasenden Puls und einen fast nicht mehr messbaren Blutdruck! Der Bauch ist irgendwie komisch und es finden sich keine Wehen...das haben wir in den letzten zwei Wochen schon drei mal gesehen - Uterusruptur, wobei keine der bisherigen Patientinnen so instabil war, wie diese. Kaum im OP, bekommt Simeon die Spinale im dritten Anlauf rein (normalerweise immer im ersten!) während zwei von uns die kollabierte Patientin stützen. Während Rolin das Sieb aufmacht wasche ich den Bauch ab, wir schlüpfen ohne Händewaschen in OP-Kittel und Handschuhe. Nach einem kurzen Gebet sind wir mit ein paar hastigen Schnitten im Bauch. Die klinische Diagnose bestätigt sich: Der Uterus ist bis runter in die Zervix der Länge nach aufgerissen und es blutet so verrückt aus der Tiefe, dass der Sauger fast nicht hinterher kommt! Wir beschließen, eine Entfernung des Uterus, reißen das Hysterektomiesieb auf und als die großen Klemmen seitlich des Uterus sitzen lässt die Blutung etwas nach. Eine vernünftige Anatomie ist aber immer noch nicht wirklich zu sehen. Wortlos arbeiten wir, als würden wir uns schon Jahre kennen zusammen: Klemme - Schere - Ligatur - Klemme ab - zweiter Knoten -
Klemme - Schere - Ligatur - Klemme ab - zweiter Knoten...bis das große blutende Biest draußen ist. Wir verschließen das, was wir glauben als den Rest der Zervix identifizieren zu können und setzen noch ein paar Umstechungen, bis keine größeren Blutungen mehr sichtbar sind und versuchen, das mittlerweile koagulierte Blut aus dem Retroperitoneum abzusaugen. Wir tasten den Harnleiter über den Iliacalgefäßen und hoffen, dass er auch in seinem weiteren Verlauf in die Blase nicht gelitten hat. Die Patientin hat sich mittlerweile, nach 2 Blutkonserven und viel Arbeit durch Simeon (der nicht einmal die formelle Ausbildung zum Anästhesiepfleger hat, aber so manchen examinierten in den Schatten stellt...), auf niedrigem Niveau stabilisiert. Wir machen den Bauch zu und haben das erste Mal die leise Hoffnung, dass die Patientin vielleicht sogar überlebt! Das Baby war natürlich nicht mehr zu retten...
Mit einem systolischen Druck von 85mmHg wird sie auf die chirurgische Station gebracht, da die Maternité rappeldicke voll ist. Wir gehen erschöpft zurück ins Bett und ich beschließe: Neurochirurgie ist vieeeel einfacher!

Nachtrag: Die Patientin hat tatsächlich überlebt! Als ich nach Hause fuhr, war sie aber noch immer sehr schwach...

A busy sunday

Heute ist eigentlich Sonntag - und es sollte ein relativ relaxter Tag werden... Aber wie das so ist mit Murphy's Gesetz: es kommt immer anders, als man denkt!
Die Nacht war ja schon um 2:30 unterbrochen worden (siehe "nächtliches Gyn-Trauma") ich konnte aber danach nicht mehr sehr ruhig schlafen und um 4:00 Uhr morgens ging es schon weiter.
In der maternity hatten sie Schwierigkeiten , einen zweiten Zwilling wegen einer Schulterdystokie zu entwickeln und als wir ankommen ist das Kind bereits tot. Wegen eines toten Kindes aber eine Sectio um diese Zeit zu machen ist doof, also versucht Rolin das Kind intrauterin zu wenden, was ihm aber auf Grund der fehlenden Narkose nicht gelingt. Also schaffen wir die Patientin in den OP und nachdem ich die Spinale gesetzt habe kann er das Kind wenden und mit dem Hintern zuerst herausziehen. Wir sind beide sehr erleichtert. Dass er dabei bis zum Ellenbogen in der Patientin verschwindet fällt dann gar nicht mehr so ins Gewicht.
Wir gehen zwar zurück ins Bett, schlafen kann ich aber trotzdem nicht. Um 7:00 geht's schon wieder weiter. Wir machen eine ausführliche Visite, entlassen ein paar Patienten (so etwas wie Entlassungsbriefe gibt es hier nicht...) und als wir die Kinderstation und halbe Innere fertig haben kommt Benzaki mit fünf "neurochirurgischen" Patienten.
Und wieder ist fast alles von chronischer Sinusitis, über Rückenschmerzen bei einer Nonne bis hin zu Kleinhirnprozess nach Malaria und einem alten kleinen Schlaganfall hier nicht wirklich therapierbar. Wenigstens ist ein weiteres sulcus ulnaris Syndrom dabei - der Direktor eines großen Zoos im Norden des Landes, etwa 700 km von hier entfernt...
Zwischendurch machen wir eine Sectio wegen Beckenendlage und vorangegangener Sectio. Dann geben wir dem kleinen Mädchen von heute Nacht eine Ketaminnarkose und entfernen erst einmal die kläglichen Nahtversuche des Krankenhauses in Kelo. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was für ein Stümper da am Werk gewesen ist! Da wurden einfach ohne Rücksicht auf Anatomie riesengroße Nähte gesetzt - kein Wunder, dass das nicht aufgehört hat zu bluten! Es würde mich auch sehr wundern, wenn die kleine dafür eine Betäubung bekommen hat - direkt an der Klitoris ist es ja auch gar nicht empfindlich...!!! Solche Typen sollten an ihren Eiern aufgehangen werden!
Als die fünf nutzlosen Nähte entfernt sind suche ich die Harnröhre, lege einen Blasenkatheter und kann mit drei kleinen resorbierbareren Adaptationsnähten die Anatomie wieder herstellen...voila es blutet auch nicht mehr.
Kaum bin ich damit fertig, wird eine Frau mit akutem Abdomen hereingeschoben. Es ist mittlerweile 15:00 Uhr und weder Rollin noch ich konnten auf Toilette, geschweige denn Mittagessen. Als wir schließlich gegen 16:30 Uhr nach Hause gehen habe ich mittlerweile nicht nur Hunger, sondern sogar Appetit, nachdem mir den ganzen Tag nicht wohl im Magen gewesen war.
Natürlich klopft es während des Essens an die Tür - einer der etwas unflotteren Pfleger hat zwei Kinder mit Ohrproblemen.
Wir essen schnell auf und gehen hinterher. Beide Kinder mit einer simplen Mittelohrentzündung - wenigstens nichts zum operieren. Wir wollen gerade gehen da kommt ein Anfang zwanzig jähriger herein, der vor 5 Tagen etwas unsanft von seinem Motorrad abgestiegen war und sich dabei den Unterkiefer gebrochen hat. Wir besprechen den Fall mit Jamie, der hier nicht nur der Maintenance Director ist, sondern auch einmal in der Woche die Zähne zieht. Wir beschließen in Ermangelung von Miniplatten, den Unterkiefer zu verdrahten. Das muss aber nicht mehr heute sein, so dass ich mich schon um halb sieben müde aber zufrieden ins Bett verabschiede. Obwohl es anstrengend ist, ist das besser als jeder Urlaub allein in irgendeiner Hotelburg...

Nächtliches Gyn-Trauma

Es ist 2:30. Ich werde wach vom Klopfen des Nachtpflegers und verstehe nur "bocoup de sang...vagina..." Und schlüpfe in meine Scrubs. Der Orion leuchtet hell als wir rüber zu Emergency gehen.
Wir finden ein 10 jähriges, verängstigtes Mädchen das irgend ein vaginales "Trauma" hatte und nun stark aus der Scheide blutete. Es sind bereits woanders fünf!! Dicke Nähte gesetzt worden...angeblich in Kelo - etwa 90 Minuten entfernt. Sie hat offensichtlich starke Schmerzen, denn sie zuckt schon bei Berührung. Die Beine und der Bauch sind blutverschmiert, aber im Moment scheint sich die Blutung etwas beruhigt zu haben. Plötzlich merke ich einen Stuhldrang und Übelkeit in mir hochkommen und ich setze mich für ein paar Minuten auf die Bank draußen im Wartebereich. Habe ich vielleicht gestern etwas gegessen, das mir nicht bekommen ist oder bekomme ich gar Malaria? Nach ein paar Minuten ebbt der Schweißausbruch wieder ab...vielleicht geht mir die Sache näher, als ich mit eingestehen möchte...immerhin ist die kleine genau so als wie meine beiden Mäuse!! Wer tut so etwas nur??? Diese Welt ist wirklich dringendst erlösungsbedürftig!!!


Überleben versus Junge oder Mädchen...

Es klopft an der Tür. Ich höre Rolin mit dem Nachtpfleger reden und höre das Wort "caesarian" - ein Kaiserschnitt steht an und da ich sowieso wach bin und es immerhin schon 4:30 Uhr ist stehe ich auf, werfe meine OP Klamotten über und gehe mit. Die Patientin hatte bereits drei Schwangerschaften und mindestens einen Kaiserschnitt, den ihre Mittelliniennarbe ist sehr verbreitert. Die OP verläuft ohne Probleme und eine weitere kleine Erdenbürgerin bevölkert das Land. Schön!!! Als wir um 6:00 Uhr nach Hause kommen fragt Dolores: "was the baby alive?" - war das Baby am Leben? Wenn mein Paps füher nach Hause kam war meistens die Frage: Junge oder Mädchen? Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals die Frage nach dem überleben gestellt wurde...
Da wir heute nur zwei kleine elektiv-OPs geplant haben machen wir heute mal eine gründliche Visite bei *allen* Patienten (die letzten paar Tage waren wir aus Zeitmangel nur bei den chirurgischen und maternity Patienten...), d. h. bei etwa 70 Betten versuchen, das französische Gekrakel zu entziffern, um herauszufinden, warum die Patienten aufgenommen wurden. Ich stelle fest, das hier in Ermangelung vernünftiger diagnostischer Mittel, abgesehen von den eigenen fünf Sinnen, eine gewisse Schrotschußmedizin betrieben wird. Bei Fieber - und das haben fast alle - wird auf Malaria behandelt und da sowieso alle Würmer haben und mangelernährt sind gibt's noch Multivitamine und Wurmmedizin (Mebendazol + Praziquantel) dazu. Bei Anzeichen einer weiteren möglichen Infektionskrankheit wie z. B. Husten gibt's noch ein Antibiotikum obendrauf. Wenn die Patienten nicht mehr Erbrechen, selbstständig essen, fieberfrei sind und herumlaufen können, werden sie entlassen. Viele sind bei Aufnahme extrem anämisch - heutiger Rekord war ein Hb von 1,4 g/dl - und das gleich zwei mal: einmal bei einer Erwachsenen HIV positiven und bei einem etwa 2 jährigen, massiv unterernährtem Kind. Der kleine Wurm hat über 41 grad Fieber, wir Glauben nicht, dass er es bis zum Abend schaffen wird und schreiben deswegen nicht die komplette Medikation für die ganze Woche auf, sondern nur für die nächsten zwei Tage. Als ich abends aber noch einmal hingehe, hat er sich nicht wesentlich verschlechtert und ich beginne zu hoffen...
Wir können die Kinderstation und Innere
noch fertig visitieren, bevor wir im OP verschwinden.
Die Wechselzeiten haben sich übrigens wesentlich verbessert, seit ich Simeon auf dem Weg nach Hause von Moundou gestern so hoch gelobt habe und im selben Atemzug den Vorschlag machte, die Spinalanästhesien schon draußen im Aufwachraum zu machen, während wir bei der Hautnaht sind... Toll, das freut mich sehr und steigert meinem Respekt noch weiter. Simeon, ein hochgewachsener Anfang dreißiger mit intelligentem Blick und freundlichem Wesen ist nur ein angelernter Pfleger im OP, macht aber sämtliche Anästhesien, ist Springer und Steri und steckt damit so manche Pflegekraft in westlichen Ländern um Längen in den Schatten!
Gegen 13:00 glauben wir fertig zu sein, da wird uns von der Hebamme eine Gesichtslage vorgestellt, das Kind kommt also anstelle mit dem Hinterkopf, wie sich das gehört, sondern mit dem Gesicht zuerst...eine vaginale Geburt wird damit mehr als unwahrscheinlich und wir Blasen zur Sectio, bevor die Jungs aus dem OP abhauen. Während die Patientin vorbereitet wird, machen wir noch schnell Visite auf der Chirurgie und setzen noch einen Mandibularabszess und eine Tubenligatur auf die Liste - da glaubt man, man sei fertig...es gibt eben immer noch etwas!
Um 15:00 Uhr sind wir dann aber wirklich fertig mit dem OP und in der Emergency warten noch 4 Patienten auf mich, die über das Radio die Nachricht gehört haben, dass ein Neurochirurg im Lande sei. Manche kommen sogar von 600 km Entfernung angereist...! Es sind aber nur selten wirklich neurochirurgische Fälle. Von degenerativen Hüft- und Kniegelenken über mögliche Spinalstenosen über Parkinson und Epilepsien bis hin zu Speicheldrüsentumoren und essentiellem Tremor ist alles dabei. Ich glaube die kennen das Konzept des Fachidioten hier nicht... Zu allem Übel - oder auch zum Glück für mich ist die Auswahl an Antiepileptika hier sehr dünn: Diazepam, Phenobarbital und Phenytoin gibt es nichts - für Parkinson gibt's gleich gar nichts und Kopf- oder Wirbelsäulen-OPs können wir mangels Ausstattung nicht machen. Aber einen habe ich dann doch eingefangen: ein Kompressionssyndrom des N. Ulnaris nach Ellenbogenfrakrtur vor 4 Monaten. Dafür haben wir die Ausrüstung, so dass ich meine Lupenbrille doch nicht umsonst mitgeschleppt habe...
Gegen 16:00 Uhr mache ich mich auf den Heimweg und freue mich auf ein spätes Mittag- , bzw. frühes Abendessen.
Wir berichten vom Tag, den Operationen und Patienten, von der zweiten Sectio am Nachmittag, davon, dass das Kind nicht sofort schrie und der angespannten Stille während der Reanimation im OP und dem erlösenden Schrei des Kindes als wir den Uterus schon fast zu haben. Und wieder ist das Hauptthema. Was the baby alive? Wie schön - und für euch zu Hause: es war ein Mädchen... ;-)

Parties und Feten

Heute sind keine Elektivoperationen auf dem Programm. Bei der Visite geht es dem kleinen arabischen Mädchen mit den kaputten Hüftgelenken etwas besser. Die Schwellung am Oberschenkel ist etwas zurückgegangen und er is auch nicht mehr so überwärmt. Bronwyn hat grünen Tee vom Markt mitgebracht - mal sehen ob's etwas bringt...
Da im Krankenhaus alles ruhig ist, schließe ich mich der Geburtstagsparty am Fluss an. Wir fahren auf einem teilweise sehr schalen Fußweg mit dem hoffnungslos überladenem Geländewagen zu einer tiefen Stelle am Fluss wo man schön ins Wasser springen kann. Normalerweise würde mich ja nichts in diese Brühe bewegen, insbesondere wenn ich an all die Krankheiten denke, die nur darauf warten einen paranoide eurupäer ins Jenseits zu befördern...aber die Hitze siegt und ich springe über meinen Schatten direkt in die gelblich braune Brühe. Während des herrlich erfrischenden Bades ruft uns einer der einheimischen zu, dass hier gestern wohl Flusspferde gesichtet wurden und mir wird erklärt, dass die gefährlicher seien, als Krokodile! Mit etwas mulmigen Gefühl in der Magengegend klettere ich aus dem Wasser, werde aber trotzdem den Eindruck nicht los, dass man mich etwas verkohlt...da die anderen sich gar nicht in ihrem Bad stören lassen beschließe ich, dass ich heute nicht auf der Speiseksrte der Hippos stehe, die auch heute weit und breit nicht zu sehen sind, und springe noch ein paar mal beherzt ins Wasser und genieße das Leben. Nach dem Schwimmen gibt es süße Getränke, keckes und meine Müsliriegel, die ich so mühsam importiert habe.
Auf dem Rückweg erzählt mir Bronwyn über die vor und Nachteile der multikulturellen Sozialisation. Morgen wird sie für 6 Wochen zu ihrer Familie nach England fahren - nach 8 Monaten wieder zurück in die Zivilisation! Sie ist aber schon seit knapp zwei Jahren hier und ein endgültiges Ende nicht in Sicht.
"Über was soll ich mich mit meinen alten Freunden unterhalten - sie haben ja keine Ahnung, was hier los ist!" Die üblichen Gesprächsthemen zu Hause sind über das Fernsehprogramm, Kinofilme, Klamotten oder irgendwelche elektronischen Gadgets - so belanglos, wenn sie darüber nachdenkt, Wasser hier jeden Tag aufs neue in Tschad erlebt! Da ist die Mutter, die gut angezogen und wohl ernährt ihren 6 Jährigen Sohn zu Tode hungert, weil ihr Ehemann die zweite Frau mehr liebt als sie. Da ist das zwei jährige Mädchen, dass nicht einmal 4 kg auf die Waage bringt und jämmerlich an ihrer Malaria eingeht. Auf der anderen Seite sind da die Zwillinge ihrer einheimischen Freundin, die mühsam über Monate aufgepäppelt wurden und jetzt wieder zwei süße kleine Monchichis mit großen dunklen Augen aufgeweckt ihre Umgebung erkunden. Leben und Tod liegen hier so dicht beieinander...!
Nachmittags gehe ich nocheinmal zu meinen Sorgenkindern. Babma, ein junge von etwa 10 oder 11 jahren hat seit 4 Wochen eine schaffe Paraplegie mit einem sensiblen Niveau bei L4 beidseits ohne Pyramidenbahnzeichen und normalen Reflexen. Angeblich relativ akuter Beginn ohne Trauma. Auf Grund der lumbalen Schmerzen denke ich an einen intraspinalen Abszess, und so bitte ich um ein CrP, das dauert aber ne Weile... Nach ein paar Seifenblasen, die bei Kindern ja immer, hier aber besonders gut ankommen gehe ich weiter und werde von dem Emergency Pfleger abgefangen: "un probleme der nerve..." ich bekomme ein 15 Monate altes Kind vorgestellt, dass kaum etwas sehen kann, offensichtlich taub ist und noch immer nicht selbstständig sitzen kann. Bis auf einen Stabismus und einer etwas seltsamen, aber nicht zu großen Kopfform fällt mir nichts weiter auf - nicht wirklich ein neurochirurgisches Problem, trotzdem erkläre ich den Eltern, dass das Kind wohl mit einem Geburtsfehler auf die Welt gekommen ist, und ich dagegen genausowenig etwas machen kann, wie gehen seine oder meine Hautfarbe.
Danach wird mir ein HIV positiver, deutlich vorgealterter Mann mit Peroneusparese und beginnender Demenz sowie grauem Star vorgestellt - nach komplizierter Anamnese über 3 Sprachen stellt sich heraus, dass die Peroneusparese seit einem Unfall seines Knies vor 3 Jahren besteht. Auch hier kann ich nichts ausrichten...
Rolin zeigt mir einen Mann mittleren Alters mit einem, seit 3 Monaten, dicken Knie. Es besteht kein Druck- oder Bewegungsschmerz und bei Punktion findet sich kein Eiter, so dass wir von einem Tumor ausgehen, außerdem finden sich Lymphknoten in Leist, was die Diagnose noch wahrscheinlicher macht. Wie hilfreich wäre jetzt ein Röntgen!
Wir entschließen uns zusammen mit dem Patienten gegen eine OP, da wir ihn wahrscheinlich sowieso nicht mehr kurativ behandeln können und sein aktueller Leidensdruck bei fehlenden Schmerzen und vorhandener Gehfähigkeit eher gering ist.
Am Abend bin ich zu einer fare well Fete am Nutrition Center eingeladen, da dieses über den Jahreswechsel schließt und zwei der STudent Missionaries nach hause fahren. Beladen mit einem großen Eimer voll Gateaux, einem einheimischen kleinen Gebäck aus leicht süßlichem und fettigem Teig. Es ist schon dunkel, als wir mir dem alten Land Cruiser vorfahren. Die einheimischen sind schon da und sitzen, wie hier üblich, in zwei Gruppen - Frauen auf dem Boden und die Männer in etwas Abstand auf der Mauer. Nach der allgemeinen Begrüßung mit Händeschütteln werden die Trommeln herausgeholt und mit zackigem Rhythmus und dem Afrika typischen Gesängen wird für die nächsten zwei Stunden um die Trommler herumgetanzt. Die etwas ungeschickten anfangsversuche der rhythmischen Schulterzuckungen die zu dem Gestampfe dazugehören werden von den Frauen mit lautem Gelächter begleitet. Obwohl ich nicht ein einziges Wort verstehe, werde ich von der Lebensfreude und Freundlichkeit dieser Menschen in den Bann gezogen. Von dem tanzen wird soviel staub aufgewirbelt, dass es sehr dichtem Nebel gleichkommt.
Ich benetze meine trockene Kehle mit ultrasüßem Tee und gehe ein paar Meter weiter hinter das nächste Haus und bestaune den Wahnsinnssternenhimmel. Ich muss an Abraham denken, dem von Gott so viele Nachkommen, wie Sterne am Himmel versprochen wurde...was für eine Verheißung, und sie ist wahr geworden, auch wenn er sehr lange auf seinen Sohn warten musste. Immerhin war er schon 100, seine Frau Sarai 90 Jahre alt, als ihr Sohn Isaak geboren wurde. Ich frage mich, ob ich so viel Geduld aufbringen könnte, auf eine Verheißung Gottes zu warten und beschließe, das nicht wirklich herausfinden zu wollen - wenn ich es muss, wir ER mir sicher das Durchhaltevermögen schenken...






Moundou

Heute stehen wir früh auf, um in Moundou, der zweitgrößten Stadt des Landes zwei Tibiafrakturen mit je einem Sign-Nagel zu versorgen. Der Chirurg vor Ort hat keine Erfahrung mit orthopädischer Chirurgie...
Wir kommen tatsächlich um kurz nach sechs Uhr los. Wir, das sind Rollin (mein hiesiger Mentor), Jamie (der Maintenance Director), Benzaki, der als Übersetzer auch ein paar Besorgungen machen soll, Simeon, einer der OP Pfleger, der seinen Gehaltsscheck bei der Bank einlösen will, und ich. Nach eineinhalb Stunden sind wir zunächst in Kelo, der nächstgelegenen Poststation, um nach ein paar Carepaketen zu fragen, die sehnlichst erwartet werden. Sorry an alle, die eine Postkarte von mir erhofft hatten, aber selbst hier gibt es so etwas nicht, ihr werdet euch eben mit diesem Blog begnügen müssen, {begin winkmitdemzaunpfahl} oder mich zu euch einladen, bzw. mich besuchen, um weitere Bilder zu sehen ;-)
{end winkmitdemzaunpfahl}
Die Straße von Kelo nach Moundou ist ab jetzt wirklich gut - für afrikanische Verhältnisse, so dass wir nach drei Stunden Fahrzeit in dem kleinen "Centre Chirurgica de Adventiste de Moundou" ankommen. Die zwei Tibiafrakturen stellen sich als eine 4 Monate alte dislozierte Unterschenkelfraktur mit massiver Kallusbildung, die andere als drei Tage alte völlige Zertrümmerung des distalen Oberschenkels heraus. Letztere entzieht sich jedweglicher operativen Therapie, bis auf die Spickung des Unterschenkels zum Anbringen der Distraktion. Obwohl ich kein Traumopäde bin, kann ich mit nicht vorstellen, wie man das selbst in Deutschland oder USA vernünftig versorgen will in Ermangelung einer halbwegs soliden Befestigungsmöglichkeit. Und selbst wenn etwas theoretisch möglich wäre, scheitert es ganz praktisch an den mangelnden Implantaten.
Wir wenden uns also der Tibia zu, während sich eine Person im OP auf Fliegenjagt begibt. Den Kallus zu entfernen ist mit nur einem stumpfen Rongeur echte Arbeit, aber schließlich haben wir uns die beiden Enden der Tibia ganz dargestellt. Die Reposition gestaltet sich erwartungsgemäß schwierig, aber schließlich haben wir das distale Ende von proximal aufgefädelt und die Halteschrauben eingebracht. Dummerweise war das ja eine offene Fraktur, und die Haut über und um die beiden Zweieurostück großen Defektstellen ist nicht die beste. Wir beschließen, erst einmal Ruhe reinkommen zu lassen und adaptieren die Wundränder nur lose. Eine plastische Deckung kann später immer noch erfolgen...
Als letztes wird uns noch ein Polytrauma vorgestellt mit Symphysensprengung und Sternumfraktur und vermutlich auch ISG-Affektion. In Ermangelung vernünftiger diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten bekommt er nur eine Zerklage der Symphyse.
Man hat schon gemerkt, dass dieses kleine chirurgische Zentrum noch sehr Jung ist (etwa 4 Monate), denn die Wechselzeiten sind extrem lange.
Wir nutzen die Zeit und sehen noch einige Patienten: eine noch relativ junge Frau mit einem monströsen Oberschenkeltumor, der wohl vom Knochen ausgeht und die Haut so sehr spannt, dass sie glänzt. Hier können wir nichts mehr tun, denn der Tumor reicht bis in das Becken! Eine andere Frau stellt sich mit einem fortgeschrittenen Zervixkarzinom vor. Der Tumor ist so groß, dass er fast die ganze Scheide ausfüllt und einmauert. Auch hier können wir nichts mehr tun. Eine weitere Patientin hatte eine offene Wunde in den letzten Monaten von einem traditionellen Heiler behandeln lassen mit dem Ergebnis, dass nun der gesamte Unterschenkel abgestorben ist und nur die Amputation oberhalb des Knies übrig bleibt. Sie entschließt sich gegen eine OP und geht...na dann gute Nacht!
Auf dem Rückweg lobe ich Simeon in den höchsten Tönen und übertreibe dabei nicht! Im Vergleich zu Bere geht es in Moundou drunter und drüber. Dieses Team muss sich wirklich noch einspielen, während unsere beiden Jungs in Bere fast
wortlos wie geschmiert zusammenarbeiten. Das Einzige, was sie noch verbessern könnten wäre, die Spinalanästhesie des nächsten Patenten schon im Vorraum zu legen, während wir die Haut verschließen.

Nachtrag:
Seit dem Tag darauf haben unsere beiden Jungs, Simeon und Endelbe, das umgesetzt, so dass die Wechselzeiten nun so schnell sind, dass wir zwischen den OPs kaum noch Luft holen können, jedenfalls ist an ein kleines Konsil zwischendurch überhaupt nicht mehr zu denken...was hab ich da bloß angerichtet ;-)





























8 OPs

Der heutige Tag begann mit Weinen auf der Entbindungsstation. Eine etwa 23 jährige Schwangere im 5. Monat, wegen Malaria behandelt, hatte es nur bis in die frühen Morgenstunden geschafft und nun lag sie da, noch warm mit weiten, lichtstarren Pupillen, die Mutter neben ihr, permanent die Augen der Toten zudrückend und mit Schluchzen irgendetwas in der lokalen Sprache stammeln. Obwohl ich die Patientin gar nich persönlich kenne, geht mir das Schluchzen der Mutter durch Mark und Bein und ich kämpfe mit den Tränen.
Ein nur schwächer Trost ist, dass sich mein 12 jähriger Junge mit dem SHT über Nacht stabil gehalten hat. Mit einem Kloß im Hals gehe ich zur Morgenandacht, die immer wieder von lauten Klagerufen vor dem Krankenhaus unterbrochen wird. Meine Gedanken schweifen um den Tod, der hier hinter jeden Ecke lauert, um das schwere Leben, das besonders die Frauen hier haben. Sie sind im wesentlichen die, welche die Familie ernähren, die Kinder groß ziehen, sich um Gäste kümmern - die Männer scheinen wohl nur zur Erntezeit zu arbeiten, und sonst den ganzen Tag nur irgendwo im Schatten herumzusitzen und große Reden zu schwingen...scheint wohl überall auf der Welt so zu sein...
Bei der Visite sucht uns Augustin, der "Verwaltungsleiter" des Krankenhauses auf, mit der Bitte, morgen in Moundou, der zweitgrößten Stadt des Landes, zwei Unterschenkelfrakturen mit einem Sign-Nagel zu versorgen. Dafür werden wir also insgesamt 6 Stunden im Auto sitzen, denn der Pilot, der uns mit der kleinen Cessna fliegen könnte ist auf Heimaturlaub.
Jedenfalls werden wir morgen nicht in Bere sein, was bedeutet, dass wir heute alles wegoperieren müssen, was so herumliegt.
Es geht los mit einem 2 jährigen Jungen, dem wir einen weichen Blasenstein entfernen. Anschließend geht es weiter mit einer gigantischen Ovarialzyste links., gefolgt von einem Leberabszess, einer Curretage bei inkomplettem Abort. Eine
Hämorrhoidenthrombose Spalten wir zwischendurch. Es folgt eine weitere Curettage bei Molarschwangerschaft, bevor wir uns dem vergammelten Uterusprolaps zuwenden, der gestern aus Zeitmangel ausgefallen war. Wir wollten ihn eigentlich gleich früh wegoperieren, fanden dann aber, dass die Patientin bei einem Hb von 4g/l von zwei Blutkonserven vorher profitieren würde. Gerade als wir denken, wie seien fertig kommt noch eine Molarschwangerschaft, aber das erste Curretagesieb ist noch im Steri, so dass wir die Zeit nutzen und jeder noch ein paar Patienten in der Emergency sieht. Als wir zurückkommen sitzt bereits die spinale und das Sieb kommt gerade aus dem Steri und ist noch viel zu heiß zum anfassen, sodass wir es zum abkühlen vor die Klimaanlage stellen.
Als wir die Patientin hinausfahren kommt der Vater mit dem kleinen arabischen Mädchen zur Abszessspaltung im Oberschenkel - wir hatten völlig vergessen, dass wir ja heute morgen die Indikation bei der Visite gestellt hatten! Naja, auch das geht schnell, und als wir um 20:00 Uhr auf dem Weg nach Hause sind, fällt uns auf, dass wir beide den ganzen Tag weder gegessen, getrunken noch andere Geschäfte verrichtet haben. Besonders Letzteres macht sich besonders bemerkbar, weshalb unsere Schritte etwas schneller als sonst sind...
Es wartet ein leckerer Nudelauflauf auf uns und der schon fast legendäre Mango-Bananen Smoothie, auf den ich mich schon den ganzen Tag freue!
Nach dem Essen bin ich fast zu müde zum Aufstehen, da klopft Benzaki an der Tür. Ich hatte ihn heute morgen gebeten, mir bei der Übersetzung des Vortages zu helfen, den ich am Donnerstag im Staffmeeting halten soll. Aus gegebenem Anlass wollte ich etwas über das Schädel-Hirn-Trauma erzählen. Als ich ihm den Vortrag gezeigt und auf seinen kleinen ee-PC kopiert habe verabschiede ich mich, um den Staub und Schweiß der letzten zwei Tage abzuduschen - dummerweise haben wir schon wieder kein Wasser, also gehe ich ohne Dusche ins Bett...







Immer mehr, immer mehr...

Heute sieht es so aus, als würden wir früh fertig werden, denn wir haben nur drei kleine OPs auf dem Programm - aber es kommt natürlich anders!
Wir fangen mit einer einfachen Prostata an, dilatieren eine Harnröhrenstriktur, machen weiter mit einer Leistenhernie und wollen mit einer Orchektomie wegen Pyocele den Tag beschließen, da kommt noch während der OP die Hebamme herein, sie habe den Verdacht auf eine
Uterusruptur. Das wäre die dritte in 8 Tagen! Wir beeilen uns mit der Hautnaht ein gehen rüber zum "Kreissaal". In der Tat, der Bauch gefällt uns nicht und wir fahren die Patientin gleich in den OP zur Notsectio. Die Diagnose bestätigt sich, dieses mal aber war nicht eine Überdosis Oxytocin die Ursache, sondern ein Z. n. Sectio in der Vergangenheit, denn der Uterus ist genau an der alten Narbe gerissen. Das Unglaublichste für uns ist jedoch, der erste Schrei des Kindes! Das hätten wir wirklich nicht erwartet, dass das Kind noch lebt! Dieser Schrei ist besser als jede Musik in unseren Ohren!
Gut gelaunt beenden wir die Operation.
Sobald bekannt wird, dass wir fertig sind kommen Myriaden von Pflegern aus irgendwelchen Löchern, um uns Patienten vorzustellen. Ich gehe zu einem 12 jährigen Jungen, der vor etwa 2 Stunden vom Baum gefallen ist. Die Augenbrauenlazeration rechts ist schnell versorgt, aber der GCS 9 gefällt mir gar nicht! Ich nehme mir viel Zeit, der Nachtschwester die Wichtigkeit der neurologischen Überwachung zu erklären. Sie nickt höflich, ich merke aber, dass ich wohl selbst werde nach dem Patienten schauen müssen.
Auf dem Weg nach Hause denke ich darüber nach, was ich unternehme, wenn er sich weiter verschlechtert.
1.Steriles operieren ist hier so gut wie unmöglich!
2. wir können z. Zt. nur Ketaminnarkosen machen...Köpfe kann man so nicht operieren.
3. ich habe keine vernünftige bipolare Pinzette, Kraniotom, geschweige denn blutstillende Watten oder Pads...
Zusammengefasst, wenn der Junge nicht an seinem Epiduralhämatom stirbt, dann an meiner OP...
Ich beschließe, diesen Gedanken nicht weiter zu verfolgen und falte lieber meine Hände, dass es gar nicht soweit kommt.
Die eigentlich wichtigen OPs haben wir heute nicht geschafft: ein verjauchender Uterusprolaps und ein großer Adnextumor. Naja, morgen ist auch noch ein Tag. Die Nacht bleibt glücklicherweise ruhig und mein Kuckucksei bleibt stabil.

Ruhetag

Heute ist Samstag - der Ruhetag in unserer Gemeinde, und damit auch im Krankenhaus. Also keine Routine OPs und etwas länger schlafen. Ich nutze die Zeit und vervollständige meine Blogeinträge von gestern und vorgestern, nachdem ich meinen Dank für vieles was mir am Herzen liegt oben abgeliefert habe.
Zum Frühstück gibt's selbst gemachtes Granola und Fruchtsalat. So gut wie ich hier versorgt werde, hätte ich meine ganzen Fressalien nicht gebraucht. Aber ich bin sicher, es findet sich ein dankbarer Abnehmer.
Wir machen eine schnelle Visite und allen Patienten geht es gut, bis auf das 8 jährige arabische Mädchen (Achat), das vermutlich auf Grund der Unterernährung in beiden Beinen multiple Abszesse ausgebildet hatte, einschließlich beider Hüftgelenke, die vor ein paar Tagen drainiert worden waren. Sie hat zusätzlich eine Fußheberplegie auf der linken Seite und ihr rechter Oberschenkel ist geschwollen und überwämt. Beide Hüftgelenke sind noch immer sehr schmerzhaft bei Bewegung und das rechte beim ist kürzer, als das Linke, was auf eine schwere Zerstörung des Gelenks hinweist... Irgendwie geht sie mir den ganzen Morgen nicht aus dem Kopf, so dass ich am Nachmittag Bronwyn, aus dem Nutrition Center zu der Patientin schleife um gemeinsam eine passende Aufbaudiät zu festzulegen. Dummerweise sind diese Proteinkekse, die hier normalerweise verwendet werden seit dem Hochwasser der Regenzeit nicht mehr nachgeliefert worden, so dass aktuell diese Option nicht zur Verfügung steht. Wir schreiben trotzdem ein Rezept für die Kekse auf und bitten den Vater der kleinen, diese selbst in Kelo zu besorgen.
Mir fällt da noch ein Artikel ein, den ich kürzlich gelesen habe, worin der wirkungssteigernde Effekt von grünem Tee auf Antibiotika beschrieben wurde. Und so verabrede ich mich für morgen am Nutrition Center, um auf dem Markt nach grünem Tee zu suchen...
Um 9:30 sollte der Gottesdienst losgehen, aber es sind gerade mal 4 Hanseln da, was offenbar aber niemanden stört...es ist eben 9:30 "Africa Time"... In der Zwischenzeit wird nicht unbedingt schön, aber dafür laut und aus vollem Herzen gesungen. Glücklicherweise gibt es hier auch eine englische Gesprächsgruppe und wir haben eine angeregte Unterhaltung über den Sinn und Unsinn von religiösen Ritualen. Wir kommen zu dem Schluss, dass es niemals die Rituale sein können oder sollten, die das Glaubensleben ausmachen, sondern die persönliche Beziehung zu unserem Schöpfer, der sich nichts sehnlicher wünscht als unser ultimatives Glück.
Anschließend kommt ein Programmpunkt, den ich so noch nicht kannte: ich werde auf Französisch gefragt, ob ich nicht spontan ein Lied vortragen wolle. Vor lauter Überraschung fällt mir absolut keins ein und ich winke etwas verlegen lächelnd ab. Offenbar ist das wohl eine zeit, in der mehrere Gottesdienstteilnehmer aufstehen und spontan, Solo und ohne Begleitung Lieder vortragen. Bei dieser Gelegenheit komme ich in den Genuss von Rolins Stimme, der mir aber hinterher erklärt, dass er früher Gesangsunterricht hatte...das erklärt manches denke ich bei mir, nehme mir aber trotzdem vor, für alle Fälle nächste Woche besser vorbereitet zu sein.
Die Predigt ist Französisch mit Übersetzung in Nanjerin, der lokale Dialekt. Ich versteh' natürlich kaum etwas, so dass meine Gedanken wandern...
Ich will bloß nicht gelangweilt erscheinen, um nicht unhöflich zu sein, besonders nachdem ich der ganzen Gemeinde als der große Neurochirurg aus Deutschland vorgestellt worden bin... Ich muss gestehen, dass diese ganze Aufmerksamkeit um meine Person einerseits nett ist, da ich mich herzlich aufgenommen und willkommen fühle, andererseits aber meine Hände wegen der sehr limitierten Möglichkeiten gebunden sind. Am Ende wollen mir jedenfalls alle die Hand schütteln.
Der Gesang des Chors wird nur durch Trommeln begleitet und der coole Rhythmus macht die Lieder wesentlich erträglicher...
Nach dem Gottesdienst gibt es Potluck bei Tammy und Jamie Parker. Sie erzählt mir ihre Geschichte, wie es dazu kam, dass sie hier her kamen und wie sie sich von einer Diva zur "Mutter" der hiesigen Schule entwickelt hat. (Viele ihrer Geschichten sind auf ihrem Blog nachzulesen: Parkers4Bere.blogspot.com)
Ich lerne die meisten anderen Missionare kennen: Bronwyn, aus Südafrika mit englischem Pass arbeitet im Nutrition Center. Kylie, Montag schon wieder auf dem Weg zurück nach USA, war 6 Monate hier, genau wie Athens, die aber noch bis Mai hier bleibt und im OP hilft. Ich höre, wie es ist, bei einer einheimischen Familie zu wohnen und wir diskutieren die verschiedenen Motivationen, warum Leute in die Auslandsmission gehen. Wir stellen fest, dass das wohl ein komplexeres Thema Zitat, als es zunächst den Anschein haben mag...
Am Nachmittag fahren wir alle in zwei Autos in ein kleines Dorf etwa 5 km von Béré mit dem Namen Casere. Bronwyn erzählt dort jeden Samstag Nachmittag eine Geschichte für die Kinder. Heute sind die ersten neun Plagen dran, die Gott über die Ägypter brachte, um den Pharao zur Freilassung der Israeliten zu bewegen. Sie erzählt die Geschichte sehr lebendig und spannend, so dass es nicht überrascht, dass die Kinder an ihren Lippen hängen.
Einige der Lieder, die gesungen werden kenne ich sogar, wenn auch nich auf Französisch... Kinder sind doch auf der ganzen Welt gleich: selbst wenn man die Sprache nicht spricht, die Sprache des schäkerns ist immer die selbe - lachen, Grimassen machen, fangen, kitzeln...
Nach einer sehr lustigen Stunde fahren wir noch etwas weiter zum Fluss, um eventuell ein paar Flusspferde vor die Linse zu bekommen, haben aber diesbezüglich kein Glück, bis auf ein paar schöne Sonnenuntergangsfotos.









Behördengänge

Heute war der Tag der wichtigen Leute. Nachdem gestern der Polizeichef und der District Doctor nicht persönlich anwesend waren verabrede ich mich mit Benzaki um 9:00 Uhr um mit ihm auf seinem Motorrad noch einmal an den entsprechenden Stellen vorbeizufahren.
Vorher aber machen wir noch schnell Visite. Zu meinem Erstaunen geht es unseren Post Ops recht gut: die Frau mit der Uterusruptur konnte aufstehen und der Bauch war schön weich. Sämtliche Prostatektomien sind gut verheilt, fieberfrei und auch bei unserem Kuckucksei von gestern Abend scheint die Spülung auch die ganze Nacht gelaufen zu sein...wir können guten Gewissens 6 Patienten entlassen, was bei dem heutigen OP-Programm auch bitter nötig ist...
Besonders erfreulich der kleine Junge, der eine urethro-scrotale Fistel repariert bekommen hat.
Nach ein paar weiteren Verbandswechseln drucke ich noch schnell meine Approbations- und Facharzturkunde samt englischer Übersetzung aus und schwinge mich mit Ben auf sein Motorrad. Zuerst geht's zum Polizeichef, ein gut gekleideter, hochgewachsener Mensch mit ebrnmäßigen Gesichtszügen und einer gewissen Arroganz, die ich bei allen Funktionsträgern heute beobachte. Dass er allerdings meinen Pass dabehalten will bereitet mir etwas Unbehagen - aber ich habe wohl keine Wahl!
Anschließend geht's noch einmal zum District Doctor. Draußen vor der Tür sitzen ein paar Männer und haben scheinbar nichts zu tun. Nach einer kurzen Wartezeit treten wir ein und der DD erklärt mir, dass viele selbsternannte Spezialisten herkämen und Medizintourismus betreiben, die in Wirklichkeit gar keine richtigen Ärzte seien. Er müsse nun sicherstellen, dass meine Urkunden auch wirklich echt seien. Mit prüfender Miene starrt er so lange auf die Dokumente, dass ich mich frage, ob er sie auswendig lernen will...am Ende jedenfalls macht er ein zufriedenes Gesicht und hält mir einen Vortrag über die Schwierigkeiten des Gesundheitssystems im Tschad. Schön denke ich mir, jetzt nichts wie raus und zurück in den OP, da regt er am Schluss noch an, doch den Repräsentanten des Gesundheitsministers in Lai aufzusuchen um dort persönlich vorzusprechen weil ich ja Neurochirurg sei. So ein Mist! Lai ist zwar nur 20km weit weg, aber die Straße dorthin ist wohl noch schlechter als die nach Kelo, weshalb die 20km im Auto mindestens eine Stunde in Anspruch nehmen. Nach ein paar Diskussionen entscheiden wir uns für das Motorrad in der Hoffnung etwas zügiger damit durchzukommen.
Ich stelle fest, es geht in der Tat etwas flotter, aber als Sozius sind die Schlaglöcher auch kein wirklicher Spaß.
Wäre ich selbst am Lenker sähe das sicher anders aus und ich beschließe, sollte ich hier einmal längere zeit verbringen, ich mir eine vernünftige Enduro mitbringen werde...immerhin wurde ich schon gefragt, was mich dazu bewegen würde, länger hier zu arbeiten - die Antwort ist einfach: so lange Nina und Anna mich noch brauchen steht ein solcher Gedanke nicht zur Disposition...
Und schon gehen mir die beiden wieder durch den Kopf...sie hätten mit Sicherheit ihren Heidenspass hier und es wäre eine besondere, lebensprägende Erfahrung für sie...meine Gedanken schweifen weiter und es gehen mir noch weitere Personen durch den Kopf...was braucht es, um hier nicht nur zu überleben, sondern die Zeit hier auch zu genießen? Was braucht es, von den eigenen Ansprüchen an Luxus zurückzustecken, etwas von meiner eigenen Bequemlichkeit für jemand anderes, potentiell sogar Unbekannten, zu opfern? Oder sind am Ende all dieser Auslandshilfseinsätze wieder nur egoistische Motive! Ich weiß es nicht! Wahrscheinlich ist es eine sehr komplexe Kombination aus vielen Faktoren.
Naja, während ich so meinen Gedanken nachhänge halte ich mich am Gepäckträger fest und genieße die Landschaft, bis wir schließlich in der District Hauptstadt ankommen.
Das Gesundheitsministerium ist gleich am Anfang der Stadt und nach ein bisschen herumfragen finden wir der Gesundheitsoberfuzi in seinem Haus in der Nachbarschaft. Es ist ein sympathischer Mann mit einem recht vernarbten Gesicht und dieser behördlichen Überlegenheit, die mir aber dieses mal nicht so unangenehm aufstößt wie an anderer Stelle. Er wirft nur einen kurzen Blick in meine Papiere und gibt mir dann seine Kontaktdaten für alle Fälle - eine nette Geste, man weiß ja nie! Er erzählt mir kurz von der einzigen Neurochirurgin des Landes, eine Russin, die im 450km entfernten N'Djanema praktiziert und wie schwer es ist, bei ihr einen Termin zu bekommen.
Nach 20 Minuten sind wir wieder draußen auf dem Weg zu einem Radiomann, der auf Geheiß des Gesundheitsministers bekannt geben soll, dass es für die nächsten zwei Wochen einen Neurochirurgen in Bere geben wird.
Meine Bedenken in Bezug auf meinen wirklichen Nutzen in Anbetracht der limitierten Ressourcen behalte ich für mich...
Ich schätze ein bisschen gute Presse für das Krankenhaus kann nie Schaden...nicht einmal hier, wo wir uns vor Patienten kaum retten können...wer weiß, was sich für Gelegenheiten aus diesen Begegnungen ergeben. Nach einem kühlen und erfrischenden Malzbier machen wir uns wieder auf den Rückweg.
Etwa 7 km vor Bere macht sich ein immer lauter werdendes Quietschen bemerkbar, dass wir schiss bekommen es überhaupt noch bis nach Hause zu kommen - 7 km könnte man zwar auch zur Not laufen...aber wirklich Lust hatten wir beide nicht darauf...
Mit qualmendem Hinterrad fahren wir in Bere ein und halten auf dem Marktplatz, wo auch der Mechaniker sein Domizil hat, an. Bis zum Krankenhaus sind es noch immer etwa 3 km und ich denke so bei mir: "wenn die jetzt in der berühmt berüchtigten afrikanischen Geschwindigkeit das Hinterrad auseinandernehmen werde ich diese letzten km wohl laufen müssen. Ich muss aber innerlich Abbitte tun! Zwei Mechaniker widmen sich wortlos dem Problem von beiden Seiten des Motorrades und ohne eine einzige überflüssige Bewegung in schlafwandlerischer Sicherheit haben sie in Null,nichts das Hinterrad ab, die Trommelbremse offen und das Problem identifiziert, eine von zwei kleinen Federn ist gebrochen. Eh ich's mich versehe ist die Feder ausgetauscht und das Hinterrad wieder dran - whow, ich bin beeindruckt!
Am Krankenhaus angekommen werde ich gleich abgefangen, ich solle mir ein "Problem de nerve" ansehen. Ein etwa 75 jähriger Mann mit einem schweren M. Parkinson. Ich frage den Apotheker ob es hier denn überhaupt levodopa gibt und als er bejaht, schreibe ich ihm 2x250mg auf und hoffe, das seine Leber und Niere in Ordnung ist...ma gucken was passiert. Wenn wir die Symptome wenigstens etwas besseren können, ist dem Patienten schon sehr geholfen...aber was hat das mit Neurochirurgie zu tun?













Der erste Tag in Bere

Ich bin also gestern Abend in meinem Domizil eingezogen: ein großes Bett mit Bettlaken, Mosquitonetz und allem drum und dran. Die Nacht war sehr erholsam und nach einem wirklich leckeren American Style Frühstück ging es um 7:00 Uhr los mit Staff worship - der Morgenandacht für die Mitarbeiter und anschließend gabs eine kleine Fortbildung - ich glaube es ging um Indikation von Oxytocin in der Geburtshilfe...aber who knows, denn ich hab's nicht verstanden.
Da ja mein Pass noch nicht von der Immigracion abgestempelt war, bin ich mit Benzaki, der die ganze Statistik für das Krankenhaus macht, mit dem Motorrad zur Polizeistation in Bere gefahren. Nach ein bisschen Wartezeit stellte sich heraus, das der Polizeichef heute gar nicht im Büro ist, also morgen wiederkommen...in Südamerika nennt man das glaube ich "manjana" - gibt's hier also auch...naja bin mal gespannt, ob's denn morgen wirklich klappt...
Da wir nun schon einmal unterwegs waren sind wir gleich noch zum Major und zum District Doctor (das Gesundheitsamt...) vorbei, um mich dort vorzustellen. Der Major, ein wohlernährter aber freundlicher Mann bittet uns herein und Platz zu nehmen. Kaum dass er mitbekommt, ich sei ein Nervenspezialist ruft er auch schon seine Schwester herbei, die wohl seit einem Unfall vor 9 Monaten unter rezidivierenden Taubheitsgefühlen und Zuckungen leidet. Sie zeigt mir eine Delle in der Schädeldecke direkt über der Zentralregion und ich erkläre ihr, dass möglicherweise das SHT mit Kontusion fokale Anfälle hervorruft...aber ohne Schnittbildgebung, geschweige denn EEG ist das schwer zu bestätigen...naja, sie kommt morgen nochmal zum Krankenhaus, dann kann ich sie etwas gründlicher untersuchen...aber therapieren...?!?
Der Major ist happy und wir verabschieden uns höflich, um zu Krankenhaus zurückzufahren.
Während ich so auf dem Campus herumgeführt werde, kommen alle möglichen Leute auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln und Willkommen zu heißen...ein wirklich netter Empfang.
Und schon geht's los im OP. Als erstes steht eine Prostata auf dem Plan. Bis auf die Tatsache, dass sich die Prostata selbst als gar nicht so groß herausstellt, aber eine proximale Harnröhrenstriktur das Hauptproblem darstellt, geht die OP ohne Probleme von statten. Während wir die Wunde verschließen, kommt die Hebamme herein, sie habe eine Patientin mit V.a. Uterusruptur. Wir also rüber in den "Kreissaal", den man wohl eher als Geburtskammer bezeichnen sollte - zwei Betten auf engstem Raum mit funzliger Beleuchtung. Tatsächlich, der Bauch fühlt sich ungewöhnlich an und die Patientin krümmt sich vor Schmerzen. 10 Minuten später sitzt die Spinalanästhesie und wir haben den Bauch offen: die Plazenta fällt uns entgegen, sobald wir das Peritoneum offen haben - das muss wohl schon eine Weile so gegangen sein - das Baby hatte keine Chance! Warum zum Geier hat diese Patientin intramuskuläres Oxytocin (ein Wehenmittel) bekommen? Fast wäre auch die Mutter draufgegangen!
Da hier kein Anästhesist zur Verfügung steht haben wir kein Tuch zur Abtrennung nach oben - so sehen wir wenigstens, was passiert. Es ist jedenfalls schon irgendwie komisch in die ängstlich-stoischen Augen der Patientin zu blicken, während wir unsere Hände in ihrem Bauch haben...
Anschließend zwei kleine Curettagen bei inkomplettem Abort und noch eine Prostata alles ohne Probleme, wenn man von meinen Seelenblähungen bezüglich der Sterilität absieht: sterile DK-Anlage = Fehlanzeige, und der semisterile Penis liegt im OP-Feld. Als dann noch nach Verschluss der Wunde der Spülkatheter nicht funktioniert, weil wir die Spülung (mit normalem Leitungswasser!) mit unsterilen Blasenspritzen versucht wird, den Katheter zum laufen zu bringen ist es mit der Sterilität endgültig vorbei. Rollin muss wohl mein skeptisches Gesicht bemerkt haben, denn er kommentiert nur trocken: "We give them antibiotics anyway and we a have surprisingly low infection rate..." Na gut, sag ich mir, wer heilt hat recht und offenbar sind die Einheimischen nicht nur mit ihrem Magen widerstandsfähiger als wir verweichlichten Europäer...
Wir bekommen den Katheter jedenfalls nicht zum laufen und machen unsere schöne Naht noch einmal auf, um die Blutkoagel aus der Blase zu entfernen.
Zum Schluss kommt noch eine Hydrocele dran, die sich als Hodentumor entpuppt und dieser deshalb komplett entfernt wird.
Mit diesem Fall glauben wir unser Tagewerk vollbracht zu haben und schließen den OP ab. Wir nehmen ein schnelles Abendessen, bevor wir zu der Vortragsveranstaltung gehen, die hier zur Zeit für 3 Wochen stattfindet. Es ist eine Weiterbildungskampagne über Gesundheitsthemen und dann etwas religiöses. Obwohl weder ich noch Rollin genug Französisch verstehen, um dem Vortrag zu folgen, wollen wir doch durch unsere Anwesenheit unsere Unterstützung bekunden. Aber mitten im Vortrag werden wir rausgerufen. Ein etwa 10 jähriger Junge hat sich mit dem Horn eines Stieres angelegt und eine Stichwunde am Oberschenkel. Glücklicherweise ist die Wunde nich tief und ich kann sie primär verschließen. Ein tapferer kleiner Kerl., keinen Mux hat er gemacht als ich die Lokale setze...
Kaum bin ich fertig werde ich in die Emergency gerufen zu einer jungen Mutter mit ihrem zwei Monate alten Säugling, der eine Meningozele mit Hydrocephalus und einer Analfistel hat. Wir diskutieren die Optionen: den Hydrocephalus können wir nich behandeln in Ermangelung des richtigen Instrumentariums und fehlender Implantate, ganz zu schweigen von der fehlenden Möglichkeit einer adäquaten Bildgebung...Wir haben hier nicht einmal Röntgen!! Die Op der Meningozele wäre schon in einem Land der ersten Welt eine große Sache und so kommen wir zu dem Schluss, dass wir für dieses Kind nichts tun können. Mit Hilfe eines Übersetzers nehme ich mir viel Zeit der Mutter die Problematik zu erklären. Sie ist noch sehr jung, hat aber wohl einen sehr alten Ehrmann und hier sind viele Kinder schlicht weg die Altersvorsorge...schlimm!
Es ist mittlerweile halb neun und wir schauen noch schnell bei Jamie vorbei. Er ist der Maintenance Director des Krankenhauses und ich habe den Eindruck das ist einer der anpacken kann. Während wir noch beim small Talk sind klopt es leise an der Tür. Es ist der Nachtpfleger der chirurgischen Station. Wir verstehen nur: "Probleme avec la Prostata..." Und gehen mit ihm. Im Vorraum zum OP - dem "Aufwachraum"
Liegt unsere Kuckuckseiprostata mit wieder nicht funktionierendem Spühlkatheter. Wir versuchen unser Glück, aber auch wir bekommen den Katheter nicht funktionstüchtig. Der Patient krümmt sich vor Schmerzen ob der mittlerweile übervollen Blase und wir entschließen und zur operativen Revision. Die verläuft ohne Probleme und gegen 21:30 machen wir uns auf den Heimweg. Wir sitzen noch ein wenig am Tisch und schauen uns ein paar Familienbilder an, bevor ich mich verabschiede und nach einer kalten und erfrischenden Dusche wohlig müde ins Bett sinke.