Der erste Tag in Bere

Ich bin also gestern Abend in meinem Domizil eingezogen: ein großes Bett mit Bettlaken, Mosquitonetz und allem drum und dran. Die Nacht war sehr erholsam und nach einem wirklich leckeren American Style Frühstück ging es um 7:00 Uhr los mit Staff worship - der Morgenandacht für die Mitarbeiter und anschließend gabs eine kleine Fortbildung - ich glaube es ging um Indikation von Oxytocin in der Geburtshilfe...aber who knows, denn ich hab's nicht verstanden.
Da ja mein Pass noch nicht von der Immigracion abgestempelt war, bin ich mit Benzaki, der die ganze Statistik für das Krankenhaus macht, mit dem Motorrad zur Polizeistation in Bere gefahren. Nach ein bisschen Wartezeit stellte sich heraus, das der Polizeichef heute gar nicht im Büro ist, also morgen wiederkommen...in Südamerika nennt man das glaube ich "manjana" - gibt's hier also auch...naja bin mal gespannt, ob's denn morgen wirklich klappt...
Da wir nun schon einmal unterwegs waren sind wir gleich noch zum Major und zum District Doctor (das Gesundheitsamt...) vorbei, um mich dort vorzustellen. Der Major, ein wohlernährter aber freundlicher Mann bittet uns herein und Platz zu nehmen. Kaum dass er mitbekommt, ich sei ein Nervenspezialist ruft er auch schon seine Schwester herbei, die wohl seit einem Unfall vor 9 Monaten unter rezidivierenden Taubheitsgefühlen und Zuckungen leidet. Sie zeigt mir eine Delle in der Schädeldecke direkt über der Zentralregion und ich erkläre ihr, dass möglicherweise das SHT mit Kontusion fokale Anfälle hervorruft...aber ohne Schnittbildgebung, geschweige denn EEG ist das schwer zu bestätigen...naja, sie kommt morgen nochmal zum Krankenhaus, dann kann ich sie etwas gründlicher untersuchen...aber therapieren...?!?
Der Major ist happy und wir verabschieden uns höflich, um zu Krankenhaus zurückzufahren.
Während ich so auf dem Campus herumgeführt werde, kommen alle möglichen Leute auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln und Willkommen zu heißen...ein wirklich netter Empfang.
Und schon geht's los im OP. Als erstes steht eine Prostata auf dem Plan. Bis auf die Tatsache, dass sich die Prostata selbst als gar nicht so groß herausstellt, aber eine proximale Harnröhrenstriktur das Hauptproblem darstellt, geht die OP ohne Probleme von statten. Während wir die Wunde verschließen, kommt die Hebamme herein, sie habe eine Patientin mit V.a. Uterusruptur. Wir also rüber in den "Kreissaal", den man wohl eher als Geburtskammer bezeichnen sollte - zwei Betten auf engstem Raum mit funzliger Beleuchtung. Tatsächlich, der Bauch fühlt sich ungewöhnlich an und die Patientin krümmt sich vor Schmerzen. 10 Minuten später sitzt die Spinalanästhesie und wir haben den Bauch offen: die Plazenta fällt uns entgegen, sobald wir das Peritoneum offen haben - das muss wohl schon eine Weile so gegangen sein - das Baby hatte keine Chance! Warum zum Geier hat diese Patientin intramuskuläres Oxytocin (ein Wehenmittel) bekommen? Fast wäre auch die Mutter draufgegangen!
Da hier kein Anästhesist zur Verfügung steht haben wir kein Tuch zur Abtrennung nach oben - so sehen wir wenigstens, was passiert. Es ist jedenfalls schon irgendwie komisch in die ängstlich-stoischen Augen der Patientin zu blicken, während wir unsere Hände in ihrem Bauch haben...
Anschließend zwei kleine Curettagen bei inkomplettem Abort und noch eine Prostata alles ohne Probleme, wenn man von meinen Seelenblähungen bezüglich der Sterilität absieht: sterile DK-Anlage = Fehlanzeige, und der semisterile Penis liegt im OP-Feld. Als dann noch nach Verschluss der Wunde der Spülkatheter nicht funktioniert, weil wir die Spülung (mit normalem Leitungswasser!) mit unsterilen Blasenspritzen versucht wird, den Katheter zum laufen zu bringen ist es mit der Sterilität endgültig vorbei. Rollin muss wohl mein skeptisches Gesicht bemerkt haben, denn er kommentiert nur trocken: "We give them antibiotics anyway and we a have surprisingly low infection rate..." Na gut, sag ich mir, wer heilt hat recht und offenbar sind die Einheimischen nicht nur mit ihrem Magen widerstandsfähiger als wir verweichlichten Europäer...
Wir bekommen den Katheter jedenfalls nicht zum laufen und machen unsere schöne Naht noch einmal auf, um die Blutkoagel aus der Blase zu entfernen.
Zum Schluss kommt noch eine Hydrocele dran, die sich als Hodentumor entpuppt und dieser deshalb komplett entfernt wird.
Mit diesem Fall glauben wir unser Tagewerk vollbracht zu haben und schließen den OP ab. Wir nehmen ein schnelles Abendessen, bevor wir zu der Vortragsveranstaltung gehen, die hier zur Zeit für 3 Wochen stattfindet. Es ist eine Weiterbildungskampagne über Gesundheitsthemen und dann etwas religiöses. Obwohl weder ich noch Rollin genug Französisch verstehen, um dem Vortrag zu folgen, wollen wir doch durch unsere Anwesenheit unsere Unterstützung bekunden. Aber mitten im Vortrag werden wir rausgerufen. Ein etwa 10 jähriger Junge hat sich mit dem Horn eines Stieres angelegt und eine Stichwunde am Oberschenkel. Glücklicherweise ist die Wunde nich tief und ich kann sie primär verschließen. Ein tapferer kleiner Kerl., keinen Mux hat er gemacht als ich die Lokale setze...
Kaum bin ich fertig werde ich in die Emergency gerufen zu einer jungen Mutter mit ihrem zwei Monate alten Säugling, der eine Meningozele mit Hydrocephalus und einer Analfistel hat. Wir diskutieren die Optionen: den Hydrocephalus können wir nich behandeln in Ermangelung des richtigen Instrumentariums und fehlender Implantate, ganz zu schweigen von der fehlenden Möglichkeit einer adäquaten Bildgebung...Wir haben hier nicht einmal Röntgen!! Die Op der Meningozele wäre schon in einem Land der ersten Welt eine große Sache und so kommen wir zu dem Schluss, dass wir für dieses Kind nichts tun können. Mit Hilfe eines Übersetzers nehme ich mir viel Zeit der Mutter die Problematik zu erklären. Sie ist noch sehr jung, hat aber wohl einen sehr alten Ehrmann und hier sind viele Kinder schlicht weg die Altersvorsorge...schlimm!
Es ist mittlerweile halb neun und wir schauen noch schnell bei Jamie vorbei. Er ist der Maintenance Director des Krankenhauses und ich habe den Eindruck das ist einer der anpacken kann. Während wir noch beim small Talk sind klopt es leise an der Tür. Es ist der Nachtpfleger der chirurgischen Station. Wir verstehen nur: "Probleme avec la Prostata..." Und gehen mit ihm. Im Vorraum zum OP - dem "Aufwachraum"
Liegt unsere Kuckuckseiprostata mit wieder nicht funktionierendem Spühlkatheter. Wir versuchen unser Glück, aber auch wir bekommen den Katheter nicht funktionstüchtig. Der Patient krümmt sich vor Schmerzen ob der mittlerweile übervollen Blase und wir entschließen und zur operativen Revision. Die verläuft ohne Probleme und gegen 21:30 machen wir uns auf den Heimweg. Wir sitzen noch ein wenig am Tisch und schauen uns ein paar Familienbilder an, bevor ich mich verabschiede und nach einer kalten und erfrischenden Dusche wohlig müde ins Bett sinke.













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